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Interessenabwägung: RBS 1 für Alleinerziehende in Gemeinschaftsunterkunft

Die Landeshauptstadt Kiel unterliegt erneut in zwei Eilverfahren vor dem Sozialgericht Kiel. Gegenstand der Verfahren war - neben der Frage, ob ein Anspruch auf Analogleistungen besteht - die Grundsatzfrage, nach welcher Regelbedarfsstufe sich die Leistungen der alleinerziehenden Mütter zu richten hat.

Während die Frage, dass Analogleistungen zu gewähren sind, von der Landeshauptstadt Kiel zügig anerkannt und umgesetzt wurde, zierte sich die Beklagte bei der Frage, nach welcher Regelbedarfsstufe die Leistungen der Alleinerziehenden zu berechnen sind.

Und so faßte das Gericht einen obsiegenden Beschluss, den es wie folgt begründete:

"Jedoch sprechen gewichtige Gründe dafür, dass die zum 1. September 2019 in Kraft getretene Vorschrift des § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG nicht verfassungskonform ist bzw. einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten wird....

...Demgegenüber ergibt sich aber aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 19/10052,S. 24), dass Feststellungen zu dem spezifischen Bedarf von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG, die in Sammelunterkünften oder Gemeinschaftsunterkünften wohnen, der gesetzlichen Neuregelung gar nicht vorausgegangen waren, sondern sich der Gesetzgeber damit begnügt hat, davon auszugehen, dass eine Gemeinschaftsunterbringung für die Bewohner solcher Unterkünfte ebensolche Einspareffekte zur Folge habe wie dies im Paarhaushalten der Fall sei....

...Diese Vorgaben (des BVerfG aus der Entscheidung 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/12 vom 18.07.2012) schließen es nach Auffassung des Gerichts aus, den Umfang existenzsichernder Leistungen allein aufgrund einer bloßen Annahme - hier das Eintreten ebensolcher Einspareffekte - einzuschränken....

...Zum anderen ist empirisch weder belegt noch plausibel, dass der in der Bedarfs-stufe 2 für Paarhaushalte zum Ausdruck kommende Gedanke der Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften "aus einem Topf" sich ohne Weiteres auf Leis-tungsberechtigte übertragen lässt, die in Sammelunterkünften bestimmte Räum-lichkeiten (etwa Küche, Sanitär- und Aufenthaltsräume etc.) gemeinsam nutzen....

...Auch hält das Gericht die sich aus der Gesetzesbegründung ergebende weitere Annahme für fragwürdig, wonach sich die Leistungsberechtigten im Asylverfahren ungeachtet ihrer Herkunft "in derselben Lebenssituation" befänden und eine Art "Schicksalsgemeinschaft" bildeten."

Allerdings sah sich das Gericht wegen des Wortlautes der gesetzlichen Regelungen und des erkennbaren Willens des Gesetzgebers, für Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften ein eigenständiges Leistungsniveau einzuführen, jedenfalls im einstweiligen Rechtsschutzverfahren an einer Auslegung gehindert, nach der die Bedarfsstufe 2 gemäß § 2 Abs. 1 S. 4 Nummer 1 AsylbLG die tatsächliche und nachweisbare gemeinschaftliche Haushaltsführung des Leistungsberechtigten mit anderen voraussetzt.

Da der Ausgang des Rechtsstreits als offen anzusehen sei und eine Vorlage an das BVerfG im Rahmen eines Eilverfahrens nicht in Betracht käme, sei zu berücksichtigen, dass der Alleinerziehenden ein Zuwarten auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht zumutbar sei.